Die Leere Der Wüste
Die Leere ist ein philosophischer Begriff für das „Nichts“.
Kennen wir das? Haben wir eine Leere schon einmal erlebt?
Wie fühlt es sich an, wenn Nichts Alles einnimmt?
Was bewirkt die Leere im menschlichen Körper?
Seit meiner Wüstenwanderung mit Hafid Benyachou von Akabar Sahara Treks ist die Leere für mich von immenser Bedeutung geworden. Die mystische Karawanenwanderung durch das surreale Jebel Bani Gebirge hat mich geprägt, wenn nicht sogar verändert. Die Tage der Stille, des stundenlangen Schweigens kenne ich bereits. Oft war ich tagelang im Apuseni Gebirge nur mit den Tieren im Wald. Die Stille dort war kräftigend, entschleunigend und heilend. Doch dort war es nicht leer. Immer wieder sah ich Menschen, Tiere, Pflanzen, hörte von der Ferne Musik, die Blätter im Wind rauschen oder das Wasser plätschern.
Seit meinem ersten Wüstentrekking weiß ich erst, was wirkliche Stille bedeutet. – Und habe die Leere kennen gelernt. Viele Menschen kennen das Gefühl innerlich leer zu sein, ausgelaugt, erschöpft, ohne Kraft und Energie. In diesem Blog spreche ich nicht von einem negativen Gemütszustand, sondern von der Kraft der Leere der Wüste.
Unvoreingenommen und voller Vorfreude begannen wir ins Nichts der Wüste einzutauchen. Unbekümmert, nichtsahnend, unwissend setzten wir einen Fuß nach dem anderen in die Diversität der Wüste. Manchmal freudig, manchmal müde und immer fokussiert. Der Bewuchs wurde mit jeder Stunde des Gehens immer weniger und die Steine immer mehr. Als wir am zweiten Tag an einem Platz in den Bergen Rast hielten, konnte ich nur mehr Steine sehen. Der Himmel war wie von Sand bedeckt und mich überkam die Vorstellung, dass es so auf einem anderen Planeten oder auf der Erde nach einem Unfall aussehen könnte. Ich war mitten im Nichts – in der Leere- gelandet.
Irgendwie fühlte ich mich unruhig. Ich versuchte ein Geräusch zu finden, doch es gab keines. Die Karawane hatte sich zur Ruhe begeben. Siesta-Zeit. Sogar die Kamele waren ein großes Stück weit entfernt, auch sie waren in die Leere eingetaucht. Zu diesem Zeitpunkt wünschte ich mir, dass es bald wieder weiter ging. Ich dachte nicht über die Leere nach, auch nicht über mich selbst, ich wollte nur weg. Nun ich weiß, dass ich eine Person bin, die gerne die Flucht ergreift, wenn mir die Umstände nicht passen. Ein Reaktionsmuster aus der Kindheit. Manchmal habe ich es im Griff, manchmal nicht. Hier konnte ich nicht flüchten. Ich musste ausharren.
Erst als das gesamte Wüstentrekking vorbei war, wir in unserem Hotelzimmer in Essaouria im Hotel Sahara rasteten, kamen auf einmal, wie Blitze, Gedanken. Es waren Antworten auf Fragen, Lösungen für Probleme, sogenannte Lichtblitze. Einer davon war, dass die Leere daran schuld war, dass wir für viele Fragen, Lösungen gefunden hatten. Wieso kamen diese auf einmal zu mir? Wer schickte mir diese Antworten? Was war in der Wüste anders als woanders? Ich stellte fest, es war die Leere der Wüste, die wahrscheinlich dazu beigetragen hatte.
Viele Wissenschaftler beschäftigen sich seit langem mit der Wirkung der Mediation. Auch die Meditation ist eine Art von Leere. Die meisten Menschen kennen keine Leere. Immer surrt irgendwo irgendetwas. Ist man nicht am Smartphone, läuft der Fernseher, die Musik oder man spricht mit Jemandem. Für das Gehirn bedeutet das, dass immer wieder Verteidigungssysteme hochgefahren werden müssen. Das Gehirn hat Dauerstress. Allerdings sind wir süchtig nach diesem Stress. Lieber alles andere als „Nichts“. Schon seit Kindheit an, hören wir Sprüche wie: „Von Nichts kommt nichts“. Dabei sollte es laut derzeitigen Forschungen heißen: „Von Nichts kommt viel!“.
Viel zu wenige Menschen setzen sich mit der Funktion des Hippocampus und der Amygdala auseinander und steuern selbständig ins Burnout, Alzheimer und Demenz. Den Dauerstress halten manche Gehirne nicht aus. Viele Wissenschaftler sind sich einig und betonen die Bedeutung der Leere für das Gehirn.
Es ist erwiesen, dass Leere unsere Defense-System in den tieferen Hirnregionen zur Ruhe kommen lässt. (Zitat Birbaumer). Martin Seligman spricht von einem katastrophischen Gehirn, in welchem die Defense-Systeme mehr oder weniger im Dauereinsatz sind, was an den Kräften zehrt und den Weg für viele Krankheiten bereitet. Weiters meint Birbaumer, dass die Leere hier eine Pause schaffen und für Entlastung sorgen kann. Viele Dinge verlieren an Bedeutung, sodass das Gehirn keine Veranlassung mehr sieht, die Defense-Systeme zu aktivieren.
Die Leere der Wüste war mehr als nur Abschalten. Mir kommt vor, durch diese Leere haben sich neue Inseln der Achtsamkeit gebildet. Das Leben wurde bewusster. Den Fokus auf den nächsten Schritt gerichtet, in eine Leere schauend, haben bei mir eine Klarheit erzeugt, die ich vorher nicht hatte. Wie eine Art "Reset" des Gehirns.
„Positive Leere gibt es nur“, warnt Birbaumer, „wenn wir uns ihr kompromisslos und vertrauensvoll hingeben und nicht betrauern, was wir durch sie verlieren. Anders funktioniert sie nicht“.
Der Thalamus wird von den Hirnforschern als „Tor zum Bewusstsein“ bezeichnet, weil er darüber entscheidet, was bewusst wahrgenommen wird.
„Der Thalamus ist das Tor zum Bewusstsein. Er fungiert als Filter und Verteiler der einlangenden Informationen. Hier wird entschieden, welche Sinneseindrücke aus der Umwelt und dem Organismus ins Bewusstsein dringen sollen und welche dann auch an die entsprechenden Verarbeitungszentren weitergeleitet werden. Alle Sinneseindrücke des Fühlens, Sehen und Hörens – nicht aber des Riechens – werden über den Thalamus vermittelt.“ (https://www.netdoktor.at/anatomie/gehirn/thalamus, Zugriff am 3.11.2022)
Nach meiner Wüstenreise sah ich meine Welt, meine Persönlichkeit klarer. Mir wurden viele Dinge bewusst. Muster die nicht mehr dienlich waren, kamen an die Oberfläche. Die Wüste hat mich ausgezogen, mich nackt stehen lassen und neu gekleidet, vielleicht kann ich so am Besten erklären, welche Wirkung diese Reise für mich hatte.
Der Spruch „jemanden in die Wüste schicken“, hat von mir viel Aufmerksamkeit bekommen. Ich finde ihn ab jetzt sehr positiv, denn für jeden Menschen kann so ein Aufenthalt in der Wüste über mehrere Tage (nicht ein paar Stunden Sightseeing und Fotoshooting) Erkenntnisse hervorbringen, die man vorher nicht hatte.
Was Hafid Benyachou organisiert, ist einzigartig. Eine Karawanenwanderung, die authentischer nicht sein könnte, weit weg von einer touristischen Inszenierung, professionell organisiert und mit Liebe und Demut praktiziert. Bei so einer Karawanenwanderung erfährst du vielleicht auch die Kraft der Leere der Wüste, kannst dich selbst neu finden, weiter entwickeln und deinem Gehirn eine Auszeit gönnen. Hat es sich das nicht auch einmal verdient?